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AutorenbildEmre Can Anlar

Energiebeschaffung für Schnellladeparks: Ein Blick auf Herausforderungen und Chancen

Aktualisiert: 27. Juni 2023

Prof. Dr. Günther und Dr. Pfeiffer zur Notwendigkeit einer datenbasierten Bedarfsprognose, der Interaktion mit dem Spotmarkt, dem Einsatz dynamischer Preismodelle aus Sicht von Ladestationbetreiber und neuen Geschäftsmodellen, die von einer starken digitalen Vernetzung profitieren und neue Rollen für e-Mobility Service Provider hervorbringen.

Prof. Dr. Maik Günther & Dr. Andreas Pfeiffer

In unserer Serie "Hinter den Kulissen" widmen wir uns diesmal dem breiten Feld der Energiewirtschaft und Elektromobilität. Mit Prof. Dr. Maik Günther, Energiemarktexperte und Professor an der IU Internationale Hochschule, und Dr. Andreas Pfeiffer, Gründer und Geschäftsführer von greenventors, führen uns zwei ausgewiesene Experten in die Thematik ein. Sie beleuchten aktuelle Herausforderungen und Chancen in diesem sich rasant entwickelnden Sektor.

Um im Kontext der Elektromobilität Strom kostengünstig beschaffen zu können, ist neben einer geeigneten Strategie aus Termin- und Spotmarkthandel in Zukunft vor allem eine datenbasierte, dynamische Absatzprognose erforderlich. Prof. Dr. Maik Günther

Prof. Günther, könnten Sie uns zunächst erläutern, welche Bedeutung der Stromspotmarkt für eine effiziente und kostengünstige Energiebeschaffung im Kontext der Elektromobilität hat?

Prof. Günther: Im Gegensatz zum Terminmarkt für Strom, der hinsichtlich der physischen Erfüllung sehr zukunftsgerichtet ist, ermöglicht der Spotmarkt einen relativ kurzfristigen Handel an der Börse. Dabei können Strommengen einen Tag vor der eigentlichen physischen Lieferung gehandelt werden, also im Day-Ahead-Handel, oder auch noch am Tag der physischen Lieferung selbst, was man als Intraday-Handel bezeichnet. Durch diese Möglichkeit des kurzfristigen Handels von Strom für bestimmte Stunden oder sogar Viertelstunden kann sehr gut auf Prognoseabweichungen beim Ladestrom reagiert werden. Für Betreiber von Schnellladeparks eignet sich demnach eine Beschaffungsstrategie, die u.a. den Termin- sowie den Spothandel beinhaltet, um Beschaffungskosten zu senken und Risiken zu minimieren.


Bei einem massiven Hochlauf der Elektromobilität werden auch die an den Ladestationen abgenommenen Strommengen signifikant steigen. Was bedeutet das für die Beschaffungslogik? Könnte man die komplette Menge dann nicht einfach immer kurzfristig am Spotmarkt beschaffen?

Prof. Günther: In den Anfängen der Elektromobilität mit ein paar AC-Ladesäulen in einer Stadt waren die geladenen Strommengen so gering, dass beispielsweise das örtliche Stadtwerk die Menge quasi immer durch Aufrunden auf die nächste MWh in seinem bestehenden Portfolio hätte unterbringen können. Wie jedoch in der Frage bereits angedeutet, besteht bei immer mehr Elektrofahrzeugen und Schnelladeparks konkreter Handlungsbedarf hinsichtlich der Entwicklung einer passgenauen Beschaffungsstrategie für den Ladestrom. Demgegenüber wäre die ausschließliche Beschaffung signifikanter Mengen am Spotmarkt keine gute Lösung, da ohne weitere Absicherungsmaßnahmen (die aber Geld kosten) das Preisrisiko nicht adäquat berücksichtigt ist – wie volatil der Strommarkt sein kann, haben wir in der jüngsten Vergangenheit ja gesehen.

Daher sollte auf Basis einer Abnahmeprognose zunächst eine mittel- bis langfristige Beschaffung am Terminmarkt erfolgen. Dies kann in Tranchen geschehen, wobei von starren Beschaffungsrhythmen abgewichen werden muss, wenn relevante Marktsignale auftreten. Kurzfristig wird dann am Spotmarkt bei Prognoseabweichungen nachjustiert.


Sie haben das Stichwort ‘Abnahmeprognose‘ erwähnt. Können Sie genauer ausführen, was darunter zu verstehen ist und warum Ladestationsbetreiber hier gut aufgestellt sein sollten?

Prof. Günther: Um im Kontext der Elektromobilität Strom kostengünstig beschaffen zu können, ist neben einer geeigneten Strategie aus Termin- und Spothandel in Zukunft vor allem eine datenbasierte, dynamische Abnahmeprognose erforderlich. Diese muss u.a. das typische Ladeverhalten von Nutzergruppen, aber auch die lokalen Gegebenheiten der Ladeinfrastruktur, den geplanten Zubau an Ladesäulen, die steigende Anzahl an Elektrofahrzeugen sowie mögliche Rückkopplungen aus flexiblen Preismodellen berücksichtigen. Wir hatten uns das mal mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz an deutschlandweiten Daten hunderttausender Ladevorgänge angesehen. Hier gab es signifikante Unterschiede zwischen den identifizierten Nutzergruppen sowie hinsichtlich der Auslastungsprofile typischer Ladesäulenstandorte. Ladestationsbetreiber ohne eine genaue Kenntnis dieser Zusammenhänge werden sich schwertun, ihre Prognoseabweichungen zu reduzieren, wodurch die Potenziale einer optimalen Beschaffungsstrategie zur Minimierung von Risiken und zur Maximierung des Gewinns erheblich eingeschränkt sind.



Wie ändert sich aus Ihrer Sicht, Dr. Pfeiffer, im Zusammenhang mit dynamischen, spotmarktbasierten Preisen die Rolle des e-Mobility Service Providers (e-MSP)?

Dr. Pfeiffer: Bei einer starken Ausprägung von dynamischen, spotmarktbasierten Preisen muss der e-Mobility Service Provider (e-MSP) sein Geschäftsmodell überdenken und erweitern. Neben den bestehenden Aufgaben in dem übergreifenden Zugang auf Ladenetzwerke, Navigation, Abrechnungsdienste und Datenaustausch, wird der e-MSP zum strategischen Einkäufer von Ladevolumen. Durch das Vorabbeschaffen von Ladevolumen bei Ladestationsbetreibern, basierend auf Prognosen des Ladeverhaltens seiner Kunden und der Antizipation von langfristigen wie spotmarktbasierten Energiepreisen, kann sich der e-MSP eine datenbasierte Geschäftsgrundlage schaffen. Dabei ist es wichtig, dass der e-MSP in der Lage ist, Preisänderungen der Ladeinfrastrukturbetreiber zu erfassen, zu verhandeln und an seine Kunden transparent weiterzugeben. Zusätzlich kann der e-MSP aufgrund seiner Marktmacht einen Teil des Gewinns aus der Realoption der Ladeinfrastrukturbetreiber abschöpfen, indem er seine eigene Kundenbasis nutzt. Die Wettbewerbsposition des e-MSP wird daher auch stark von der Bindung großer Flottenkunden und einer präzisen Prognose des Ladeverhaltens abhängen.


Bei einer starken Ausprägung von dynamischen, spotmarktbasierten Preisen muss der e-Mobility Service Provider (e-MSP) sein Geschäftsmodell überdenken und erweitern. Dr. Andreas Pfeiffer

Wie bewerten Sie im Kontext von Ladeinfrastruktur dynamische Preismodelle?

Prof. Günther: Wenn es für das Laden von Elektrofahrzeugen eine gewisse zeitliche Flexibilität gibt, kann das Nutzerverhalten bei ausreichend attraktiven monetären Anreizen durch dynamische Preismodelle beeinflusst werden. Diese orientieren sich am Spotmarkt, wodurch variierende Beschaffungskosten an Letztverbraucher weitergegeben werden können. Dabei unterscheiden sich dynamische Preismodelle hinsichtlich diverser Parameter (Vorankündigungsfrist, Grundpreis, etwaige Preisbänder, stetige oder diskrete Preise etc.) und können auch mit anderen Varianten flexibler Preismodelle zur Beeinflussung der Nachfrage kombiniert werden, beispielsweise um die lokale Ladeinfrastruktur effizienter auszulasten. Für bedeutsam halte ich bei dynamischen Preismodellen folgenden Aspekt: Ladestationsbetreiber können in plötzlich auftretenden Hochpreisphasen etwaige im Voraus günstiger beschaffte Strommengen durch die Beeinflussung des Nutzerverhaltens einsparen bzw. zeitlich verschieben und dadurch gewinnbringend am Spotmarkt verkaufen. Die Kundenbasis des Ladestationsbetreibers erhält mit dynamischen Preismodellen demnach einen zusätzlichen Wert. Kunden werden zu einer Realoption, die es geschickt zu nutzen gilt. Natürlich ist das alles auch mit Aufwand verbunden: IT-Systeme, Messeinrichtungen, Datenaustausch, Handelszugang, Personal etc., so dass es sich nur ab einer gewissen Größe bzw. erst bei einem weiteren Hochlauf in der Elektromobilität rechnen wird.


Allgemein wird davon ausgegangen, dass durch dynamische Preismodelle auch die Stromnetze optimiert ausgelastet werden.

Prof. Günther: Dynamische Preismodelle im eigentlichen Sinn orientieren sich ausschließlich am Strompreis. Sind in einem derartigen Tarif keine zusätzlichen lastvariablen Steuerungselemente enthalten, so kann dieser Tarif durchaus zu einem nicht netzdienlichen Verhalten führen. Man stelle sich beispielsweise eine Situation im Netz einer Großstadt mit überschaubarer PV-Einspeisung, sehr niedrigen Spotmarktpreisen und extrem hoher Nachfrage vor. Wenn dann zusätzlich noch Ladestationsbetreiber sowie sonstige Aggregatoren mit jeweils ähnlichen dynamischen Preismodellen plötzlich ihre Kunden dazu anregen würden, die Nachfrage in diesem Netz zu erhöhen, dann ist das nicht netzdienlich.

Hervorzuheben ist jedoch, dass dynamische Preismodelle die Integration der Erneuerbaren verbessern können. Denn in Zeiten mit einem Überschuss an Erneuerbaren im System sind die Strompreise auch tendenziell sehr niedrig. Dynamische Preise können in diesen Zeiten die Nachfrage anregen, was den Überschuss abbaut.


Wie könnte aus Ihrer Sicht der THG-Quotenhandel genutzt werden, um die Gewinnmargen für Ladestationsbetreiber zu sichern?

Prof. Günther: Die durch den Ladestrom eingesparten und zertifizierten CO₂-Emissionen können an Mineralölunternehmen verkauft werden, damit diese ihre THG-Quote erfüllen. Diese Erlöse könnten beispielsweise im Zusammenspiel mit dynamischen Strompreismodellen als eine Art Preis-Puffer betrachtet werden, um unvorhersehbare Entwicklungen beim Strompreis abzufedern. Dies ist zumindest noch so lange möglich, wie es eine signifikante Zahl an Verbrennern gibt, die fossile Kraftstoffe nutzen. Denn in einer Welt mit sinkendenCO₂-Emissionen braucht es irgendwann keine THG-Quote mehr. Schlussendlich müssen dynamische Preismodelle und Erlöse aus der THG-Quote Teil einer ganzheitlichen Beschaffungsstrategie sein, die den Gewinn maximiert und adäquat mit dem Strompreisrisiko umgeht.


Die digitale Vernetzung ist essenziell für eine effiziente Navigation in diesem Sektor. Sie schafft ein effizientes Ökosystem für die Elektromobilität, in dem durch den Austausch von Daten Energiemärkte, eMSPs und CPOs zusammenarbeiten können, um die Ladeinfrastruktur auszubauen, die Stromnachfrage zu prognostizieren und zu steuern, die Kundenerfahrung zu verbessern und erneuerbare Energien zu integrieren. Dr. Andreas Pfeiffer

Dr. Pfeiffer, Ihr Unternehmen unterstützt etablierte und neue Player in der Elektromobilität dabei, sich in diesem schnelllebigen Umfeld zurechtzufinden. Welche Rolle spielt die digitale Vernetzung aus Ihrer Erfahrung?

Dr. Pfeiffer: Aus unserer Sicht ist die Fähigkeit der digitalen Vernetzung essenziell für eine effiziente Navigation in unserem Sektor. Richtig genutzt ermöglicht sie ein Verständnis für die Dynamik der Märkte und des Nutzerverhaltens. Hierdurch können effektiv Strategien entwickelt werden, um beispielsweise die Auswirkungen von Preisschwankungen zu minimieren. So hilft sie auch bei der Entwicklung von modularen Geschäftsprozessen und Tarifsystemen, die sich leichter an ändernde regulatorische Anforderungen anpassen lassen. Hierbei ist es erfolgskritisch, die Standardisierung der Systeme und ihre Vernetzung frühzeitig voranzubringen. Gerade für "neue" Player im Umfeld von Ladedienstleistung ist es aus unserer Erfahrung essenziell zunächst einen Überblick über Ökosystem zu erhalten und dann gezielt an Schlüsselkomponenten zu investieren: Sei es in interne Ressourcen oder in die richtigen Marktpartnerschaften. Wir helfen hier als erfahrener Navigator und helfen dabei die ersten Schritte auf dem neuen Terrain sicher zu gehen.


Gibt es weitere Effekte einer digital-vernetzten Elektromobilität, insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen klassischen Energieunternehmen, e-Mobility Service Providern und Ladestationsbetreibern?

Dr. Pfeiffer: Die digitale Vernetzung schafft ein effizientes Ökosystem für die Elektromobilität. Durch den Austausch von Daten können Energiemärkte, e-MSPs und CPOs zusammenarbeiten, um die Ladeinfrastruktur auszubauen, die Stromnachfrage zu prognostizieren und zu steuern, die Kundenerfahrung zu verbessern und erneuerbare Energien zu integrieren. Die Standardisierung der Systeme und ihre Vernetzung sind dabei besonders wichtig. Nur so kann aus meiner Sicht die Interoperabilität und Skalierbarkeit sichergestellt werden und ein reibungsloser Betrieb des Elektromobilitätssystems gewährleistet werden.


Können Sie uns ein wenig mehr darüber erzählen, wie greenventors Unternehmen dabei unterstützt, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sowohl die THG-Quote als auch die Möglichkeiten der Spotmarktbeschaffung und der dynamischen Preise berücksichtigen?

Dr. Pfeiffer: Bei greenventors betrachten wir Elektromobilität ganzheitlich und nutzen dabei unsere mehr als 14-jährige Erfahrung. Wir helfen Unternehmen, ihre Geschäftspraktiken an die sich schnell ändernde Landschaft der Elektromobilität anzupassen.

Um ihr Geschäftsmodell zu optimieren, sollten Ladestationsbetreiber eine tiefe Kenntnis der THG-Quote und Marktdynamik entwickeln, eine proaktive Beschaffungsstrategie einsetzen, die Spotmarkteinkäufe und THG-Quotenvermarktung kombiniert und sich auf die digitale Vernetzung und das Datenmanagement konzentrieren. Durch Partnerschaften und digitale Vernetzung können sie sich in der Elektromobilitätslandschaft besser positionieren und nachhaltige, kundenorientierte Lösungen entwickeln.


Was heißt für Sie und Ihre Arbeit im Konkreten?

Dr. Pfeiffer: Als umsetzungsorientierter Berater unterstützen wir unsere Kunden daher, fundierte Kenntnisse in den Bereichen THG-Quoten, dynamische Strompreismodelle und datengestützte Prognosen aufzubauen und zu stärken. Gleichzeitig fördern wir die Entwicklung von Fähigkeiten im Bereich "Partnerschaften" und in der digitalen Vernetzung in und über Organisationen hinweg. So helfen wir unseren Partnern, sich noch besser in der Elektromobilitätslandschaft zu positionieren und nachhaltige, kundenorientierte Lösungen zu entwickeln. Unser oberstes Ziel ist es dabei stets, Kunden so zu befähigen, dass Sie in der Lage sind, diese Strategien und Maßnahmen in Zukunft anzupassen und weiterzuentwickeln.



Die kombinierte Expertise von Prof. Dr. Günther und Dr. Pfeiffer bietet einen spannenden und aufschlussreichen Einblick in die Herausforderungen und Chancen in diesem sich rasant entwickelnden Sektor. Ihre Ausführungen beleuchten nicht nur die aktuelle Situation, sondern geben uns auch einen Vorgeschmack darauf, wie die Zukunft der Elektromobilität aussehen könnte. Es steht außer Frage, dass in diesem Bereich noch viel Innovationspotenzial steckt und dass die Unternehmen, die diesen Markt proaktiv und datengetrieben angehen, die besten Chancen haben, in einer grüneren, vernetzten Zukunft erfolgreich zu sein.

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